Früh dran

„Ach Jott, Sie sind aber früh dran! Naja… dit hörn wa hier öfters…“
Die Friedhofsangestellte begrüßt uns mit Dialekt und Handschlag.
Es ist ein sonniger Mittag.
Vögelzwitschern erfüllt die Friedhofsanlage und man sieht ausgesprochen viele Eichhörnchen. Innerlich stellt sich direkt eine gewisse Ruhe bei mir ein.
„Wer von Ihnen is denn… ?“
Mein Begleiter meldet sich.
„Mein Beileid.“ Die Worte der Friedhofsangestellten klingen ungewöhnlich aufrichtig, gar nicht wie eine berufsbedingte Floskel.

Wie zum Beispiel das ‚Kassenbon? Dann einen schönen Abend noch! Wiedersehen!‘ der meisten Angestellten in den Supermarktketten.
Wobei, ausgeschrieben sieht das jetzt viel verständlicher und nach richtig viel Text aus.
Es klingt aber eher wie: ‚Snbon? Schnamndnoh. Wieseeeehn!‘ Dazu die kurze mechanische Kopfbewegung zum Kunden, als würde man ihn ansehen, die Augen jedoch haften auf dem Display der Kasse, die Hand schon am nächsten *Ab-hier-ist-meins-Knüppel*.

Wenn man zur Prime-Time in der Schlange seines Local-Bierwurst-Dealers steht und zum immer wiederkehrenden Piepsen der Kasse ein genauso eintöniges ‚Schnamndnoh‘ und ‚Wieseeeehn‘ ertönt, wird einem die Vergänglichkeit des eigenen Lebens bewusst.
Man erkennt, dass man, gemessen an der Unendlichkeit des Universums, nur ein kleines ‚Wieseeeehn‘ in der langen Schlange der Erdgeschichte ist.
Ein paar kurze Piepser, ein ‚Schnamndnoh‘ und ab in die Grube. Schon ist der Nächste dran.
Vorn an der Kasse stehen sozusagen die Dinosaurier, vor mir ein Typ mit einer ziemlich gewölbten Stirn und übermäßiger Körperbehaarung, hinter mir dann schon jemand mit bionischen Beinen.
In solchen Momenten ertappe ich mich manchmal beim Griff in das Fach mit den Flachmännern.
Eventuell ist diese Eintönigkeit im Kassenbereich sogar Absicht.
Die kleine Goldkrone steht doch nicht wegen des Jugendschutzes im Kassenbereich. Die großen Flaschen stehen ja auch hinten.
Das ist Absatzförderung.
Ganz perfide Gewinnoptimierung.
Bestimmt müssen alle Kassenangestellten der Discounter in regelmäßigen Abständen Eintönigkeitskurse belegen. Quasi einen ‚Schnamndkurs‘.

Der eine Flügel der großen Tür zur Trauerhalle öffnet sich einen Spalt. Es erscheint ein rundlicher Kopf mit Kartoffelnase und Brille.
„Ach, Sie sind ja schon da. Na, besser zu früh als spät!“ sagt die Nasenbrille.
„Wie mans nehmen tut,“ sagt die Friedhofsangestellte, „manch eener is ja lieber später hier.“
Der Kopf nickt und zieht sich zurück. Der Spalt der Flügeltür wird weiter geöffnet und es erscheint ein runder Bauch in weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Kurz darauf folgt wieder die bebrillte Kartoffelnase.
Es ist der Bestatter. Mein Begleiter wird begrüßt und auch ich bekomme eine seltsam mitfühlende Begrüßung. In dieser sonst so ruppigen Stadt ist es eine angenehme Erfahrung.
„Sie machen dann sicher die Technik, nehme ich an?“ Ich nicke. „Wenn Sie möchten, können Sie schon aufbauen, die Kapelle ist frei.“ Zu meinem Begleiter gewandt: „Und wir können ja den Ablauf durchgehen.“
Der Aufbau ist schnell erledigt, kurzer Probelauf. Läuft. Jetzt ist noch reichlich Zeit.
„Da hätten wir aber noch einen Kaffee trinken gehen können.“ sagt mein Begleiter.
„Kaffee hab ick hier,“ sagt die Friedhofsangestellte, „wollnse eenen?“
Wir nicken und werden ins Hinterzimmer geführt. Es gibt Thermoskannenkaffee in kleinen eckigen Unkaputtbartassen. Solche Tassen hatte ich auch einmal, die sind mir aber über die Zeit alle kaputt gegangen. Der Kaffee schmeckt dafür, den Umständen angepasst, dumpf.

Mein Begleiter und der Bestatter gehen den Ablauf durch.
Die Friedhofsangestellte und ich stehen schweigend im Dämmerlicht der kleinen Kammer und trinken unseren Kaffee. „Im Anschluss an die Trauerfeier gehen wir dann mit den Gebinden und der Urne diesen Weg entlang, hier hinten rum und dann sind wir da.“
Der Bestatter folgt mit seinem Finger einem Weg auf einer Karte der Friedhofsanlage an der Wand. „Nee, warte ma,“ die Friehofsangestellte unterbricht, „wieso willste denn da lang? Da war doch ’n Rolli bei den Jästen, oder?“
Mein Begleiter nickt.
„Ich weiß,“ entgegnet der Bestatter, „deswegen gehen wir ja hier entlang. Es ist etwas länger, aber auf dem anderen Weg gibt es diese Stufe, ich bin mir nicht sicher, ob das mit dem Rollstuhl funktioniert. Wir wollen ja heute nicht noch einen Kunden haben.“ Mein Begleiter und ich müssen nun doch grinsen.
„Ach wat! Die kleene Ecke! Uff dem andern Weg haste die janze Zeit dieset Koppsteinpflaster. Weeßte wie dit ruckelt? Die janze Zeit? Da kriegt die Frau doch ’n Schütteltrauma!“
„Kann ich hier irgendwo eine rauchen?“ frage ich in die Runde.
„Klar! Hier anne Seite steht unser Eschenbacher. Am Besten senkense den Kopp und schließen kurz die Oogen, wennse rausjehn.“ Ich schaue die Friedhofsangestellte verwundert an.
„Gloobense mir! Is Erfahrung! Wennse hier ausm Dämmerlicht kommen, ziehnse unweigerlich ’ne Grimasse. Wejen der Sonne. Und dit sieht echt doof aus. Also Kopp runter und Ooogen zu. Dann gehts viel besser.“
Ich trete aus dem Nebeneingang hinaus ins Freie.
Tatsächlich, selbst mit geschlossenen Augen bemerkt man die Intensität des Lichts. Interessant, wieder etwas gelernt. Ein Lifehack vom Friedhof.

An einem Baum klettert ein Eichhörnchen herunter. Ein schönes Motiv.
Eichhörnchen an einem uralten Baum umgeben von uralten Grabsteinen.
Obwohl ich sonst kein Kitschtyp bin, zücke ich doch mein Handy und mache ein Foto.
Ich bemerke in einiger Entfernung eine Frau winken. Winke kurz zurück.
Verwechselt die Frau mich etwa mit der Kartoffelnase?
Es wird Sommer, ich muss zum Sport.